Die von Paul Bosse gegründete Privatklinik, ab 1949 in der Obhut der Caritas, war in der
Nachkriegszeit bis zum Ende der DDR eine der renommierten Geburtskliniken. Bis 1970 wurde die
Kinderstation von Kinderärzten des Paul-Gerhardt-Stiftes mitbetreut. In den Jahren ab 1970 war die
Bosse-Klinik unangefochtten die Entbindungsklinik über die Region hinaus. Ihre besondere
Attraktivität bestand darin, dass sie zu den ersten Kliniken der DDR gehörte, die eine
Sonografieuntersuchung anbieten konnten. 1972 wurde im Paul-Gerhardt-Stift, der Klinik in der
Nachbarstraße der Bosse-Klinik, eine gynäkologische Abteilung gegründet. Wolfgang Böhmer war
von 1974–91 ihr Chefarzt, bevor er 1991–94 Minister und Ministerpräsident von 2002–11 wurde. In
seiner Zeit als Chefarzt dieser Abteilung beschäftigte er sich mit der Geschichte des Paul-Gerhardt-
Stifts, dessen Chefarzt früher Paul Bosse gewesen war. Böhmer kam hierbei zu dem Schluss, wegen
überhöhter Honorarforderungen habe die Paul-Gerhardt-Stiftung im Januar 1934 Paul Bosse
kündigen müssen, um Schaden vom Paul-Gerhardt-Stift abzuwenden. In modifizierter Form bleibt
diese Fassung bis 2009 bestehen – nur auf Druck der Nachkommen lässt er sich zu einer Korrektur
bewegen. Böhmer hat sich bis heute von den antisemitischen Äußerungen um Paul Bosse nicht
distanziert, die das Ziel hatten, das Stift weißzuwaschen und gleichzeitig in der Konkurrenzsituation
zwischen Bosse-Klinik und Stift den Zweck hatten, den Klinikgründer Bosse und damit seine
erfolgreiche Klinik zu beschädigen.
1980 war die Zahl der Entbindungen in der Bosse-Klinik auf über 1800 gestiegen. 1986 arbeiteten
dort 6 Ärzte und 20 Marienschwestern u. a. m. Im gleichen Jahr wurde ein Kooperationsabkommen
zwischen dem Paul-Gerhardt-Stift und der Bosse-Klinik abgeschlossen, das die Optimierung der
Kapazitäten beider Kliniken und gegenseitige Hilfe bei Engpässen vorsah. Es zementierte damit
eine Entwicklung, die zu einer schon seit Jahrzehnten zunehmenden Aufspaltung des
gynäkologisch-geburtshilflichen Faches geführt hatte: Das Paul-Gerhardt-Stift war für die
gynäkologischen Erkrankungen zuständig, während die Bosse-Klinik zur reinen Entbindungsklinik
wurde, mit einem Schwerpunkt in der Frühgeborenenbetreuung.1991 wurde sie wegen der nach der
Wende um die Hälfte gesunkenen Geburten auch gynäkologisch ausgerichtet und modernisiert. Bis
zu ihrem Ende 1996, das 1993 in der Zeit, als Böhmer Minister in Sachsen-Anhalt war, beschlossen
wurde, wurden in der Bosse-Klinik insgesamt mehr als 53.000 Kinder entbunden. Maßgeblichen
Anteil an der erfolgreichen Entwicklung der Klinik zu DDR-Zeiten hatten die beiden Chefärzte
Kurt Jonas (1947–1975) und Erhard Sauer (1976–1996). Begründet wird das Aus der Bosse-Klinik
damit, dass die Geburtenrate dramatisch gesunken und dass es dem 65-Betten-Krankenhaus nicht
möglich gewesen sei, alle Bedingungen „eines modernen Krankenhausbetriebes zu erfüllen“.
Heutzutage trägt eine Nachfolgeeinrichtung an anderer Stelle und in einem neuen Klinikgebäude
seinen Namen, die Klinik Bosse Wittenberg, Gesundheitszentrum für Neurologie, Psychiatrie,
Psychotherapie und Psychosomatik.
bearbeitet am: 14.08.2021 URL: www.paul-und-kaete-bosse.de/pkb-bosseklinik/pkb_bosseklinik.html Startseite | Impressum und Kontakt | Sitemap |
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