Die Bosse-Klinik 1947-1996

Die von Paul Bosse gegründete Privatklinik, ab 1949 in der Obhut der Caritas, war in der Nachkriegszeit bis zum Ende der DDR eine der renommierten Geburtskliniken. Bis 1970 wurde die Kinderstation von Kinderärzten des Paul-Gerhardt-Stiftes mitbetreut. In den Jahren ab 1970 war die Bosse-Klinik unangefochtten die Entbindungsklinik über die Region hinaus. Ihre besondere Attraktivität bestand darin, dass sie zu den ersten Kliniken der DDR gehörte, die eine Sonografieuntersuchung anbieten konnten. 1972 wurde im Paul-Gerhardt-Stift, der Klinik in der Nachbarstraße der Bosse-Klinik, eine gynäkologische Abteilung gegründet. Wolfgang Böhmer war von 1974–91 ihr Chefarzt, bevor er 1991–94 Minister und Ministerpräsident von 2002–11 wurde. In seiner Zeit als Chefarzt dieser Abteilung beschäftigte er sich mit der Geschichte des Paul-Gerhardt- Stifts, dessen Chefarzt früher Paul Bosse gewesen war. Böhmer kam hierbei zu dem Schluss, wegen überhöhter Honorarforderungen habe die Paul-Gerhardt-Stiftung im Januar 1934 Paul Bosse kündigen müssen, um Schaden vom Paul-Gerhardt-Stift abzuwenden. In modifizierter Form bleibt diese Fassung bis 2009 bestehen – nur auf Druck der Nachkommen lässt er sich zu einer Korrektur bewegen. Böhmer hat sich bis heute von den antisemitischen Äußerungen um Paul Bosse nicht distanziert, die das Ziel hatten, das Stift weißzuwaschen und gleichzeitig in der Konkurrenzsituation zwischen Bosse-Klinik und Stift den Zweck hatten, den Klinikgründer Bosse und damit seine erfolgreiche Klinik zu beschädigen.

1980 war die Zahl der Entbindungen in der Bosse-Klinik auf über 1800 gestiegen. 1986 arbeiteten dort 6 Ärzte und 20 Marienschwestern u. a. m. Im gleichen Jahr wurde ein Kooperationsabkommen zwischen dem Paul-Gerhardt-Stift und der Bosse-Klinik abgeschlossen, das die Optimierung der Kapazitäten beider Kliniken und gegenseitige Hilfe bei Engpässen vorsah. Es zementierte damit eine Entwicklung, die zu einer schon seit Jahrzehnten zunehmenden Aufspaltung des gynäkologisch-geburtshilflichen Faches geführt hatte: Das Paul-Gerhardt-Stift war für die gynäkologischen Erkrankungen zuständig, während die Bosse-Klinik zur reinen Entbindungsklinik wurde, mit einem Schwerpunkt in der Frühgeborenenbetreuung.1991 wurde sie wegen der nach der Wende um die Hälfte gesunkenen Geburten auch gynäkologisch ausgerichtet und modernisiert. Bis zu ihrem Ende 1996, das 1993 in der Zeit, als Böhmer Minister in Sachsen-Anhalt war, beschlossen wurde, wurden in der Bosse-Klinik insgesamt mehr als 53.000 Kinder entbunden. Maßgeblichen Anteil an der erfolgreichen Entwicklung der Klinik zu DDR-Zeiten hatten die beiden Chefärzte Kurt Jonas (1947–1975) und Erhard Sauer (1976–1996). Begründet wird das Aus der Bosse-Klinik damit, dass die Geburtenrate dramatisch gesunken und dass es dem 65-Betten-Krankenhaus nicht möglich gewesen sei, alle Bedingungen „eines modernen Krankenhausbetriebes zu erfüllen“. Heutzutage trägt eine Nachfolgeeinrichtung an anderer Stelle und in einem neuen Klinikgebäude seinen Namen, die Klinik Bosse Wittenberg, Gesundheitszentrum für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik.


 

 


bearbeitet am: 14.08.2021
URL:
www.paul-und-kaete-bosse.de/pkb-bosseklinik/pkb_bosseklinik.html

StartseiteImpressum und Kontakt | Sitemap   
Seitenanfang